Die Entwicklung der Atombombe in Deutschland
Teil 1
Es ist eines der schwierigsten Unterfangen unseres gesamten Internetauftrittes, zu diesem Thema eine zusammenfassende Übersicht zu geben. Wenn man wissenschaftlich exakt recherchieren will, muss man Archive nutzen können. Da sowohl die amerikanischen als auch die sowjetischen Archive aber auch heute noch den Zugang der von ihnen 1945 erbeuteten wissenschaftlichen deutschen Dokumentationen verweigern, muss man auf die bisher zu diesem Thema erschienenen Literatur zurückgreifen.
Aber auch diese Autoren stehen vor dem gleichen Dilemma und dementsprechend widersprüchlich und in vielen Teilen unvollkommen sind deren getroffene Aussagen.
So gibt es bis heute über die deutsche Atombombenentwicklung keine umfassende Darstellung zu:
- allen Forschungsstandorten, Forschungsthemen und erreichten Ergebnisse
- allen einbezogenen Einrichtungen, Behörden und Firmen
- allen in diese Forschung einbezogenen Wissenschaftlern und verantwortlichen Militärs
- dem tatsächlichen Stand der Entwicklung der Atombombe
- dem Stand der Entwicklung des transatlantischen Trägersystems A9 / A 10
Alle aufgeführten Fakten, Zitate, Texte u. ä. entstammen der öffentlich zugänglichen Literatur, welche im Anhang aufgeführt ist.
Der Bergbauverein Ronneburg e. V. und der von ihr beauftragte Webdesigner übernehmen aber keinerlei Verantwortung über den historischen Wahrheitsgehalt der nachfolgenden Seiten.
Für Korrekturen, Ergänzungen u. ä. sind wir daher jederzeit dankbar.
Zumindest über den Beginn der Forschungen gibt es weitestgehend übereinstimmende Auffassungen in der wissenschaftlichen Fachliteratur, welche wir in groben Zügen nun darstellen wollen:
Am 18.12.1938 entdeckten die deutschen Forscher
durch Neutronenbeschuss des Kerns von Uran 235 die Uranspaltung.
Darüber machten sie erstmals am 06.01.1938 und dann nochmals am 10.02.1939 in der Zeitschrift "Naturwissenschaften" Mitteilung.
Darauf hin machten sich eine Vielzahl von Wissenschaftlern in aller Welt Gedanken darüber, wie die Spaltung von Atomkernen mit der dabei frei werdenden Energie wirtschaftlich und militärisch nutzbar gemacht werden könnte.
Am 29.04.1939 nahm unter Leitung Professor Abraham Esau als Direktor der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) und Leiter der Fachsparte Physik des Reichsforschungsrates ein Expertengremium unter dem Namen "Uranverein" die Arbeit auf, um die weiteren Arbeiten zur Erforschung der Kernspaltung zu koordinieren.
Parallel dazu wurde auf Hinweise des Hamburger Physikers
Paul Harteck auch das Heereswaffenamt (HWA) auf die Möglichkeiten der Nutzung der Kernspaltung aufmerksam.
Der Chef der Wissenschaftsabteilung des Heereswaffenamtes Erich Schumann beauftragte daraufhin im Sommer 1939 den Physiker
Kurt Diebner mit der Prüfung dieser Möglichkeiten.
Das Militär unternahm dann alle Anstrengungen, um die Aktivitäten auf diesem Gebiet an sich zu ziehen und unterstellte den "Uranverein" dem Heereswaffenamt.
In einer Vielzahl von Universitäten, Instituten und Einrichtungen begannen bereits 1939 mit unterschiedlichen Methoden und Resultaten die Versuche zur Energiegewinnung durch Uranspaltung und deren militärischen Nutzung als Atombombe.
Die militärischen Forschungen sollten dann am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik koordiniert werden;
dem ab 1941
Eine wichtige Problematik bestand auch darin, die wichtigsten Komponenten für die Atom-Experimente bereitzustellen:
1. Schweres Wasser
Nach Besetzung Norwegens 1940 und Anbindung der norwegischen Firma Norsk Hydro in Rjykan ( ca. 130 km westlich von Oslo) an die IG Farben AG stand den deutschen Wissenschaftlern schweres Wasser zur Verfügung.
Norsk Hydro hatte damit ausschließlich das Deutsche Reich zu beliefern.
Nach Angriffen britischer Kommandotrupps und norwegischer Widerstandskämpfer im Februar und amerikanischer Bomber im November 1943 und Versenkung einer Fähre mit schwerem Wasser im Februar 1944 wurde die Anlage der Norske Hydro demontiert und nach Deutschland gebracht.
Zwischenzeitlich wurden Schwerwasseranlagen bei IG Farben in Leuna und Bitterfeld und in Arnstadt installiert.
2. Uran
Den deutschen Atomwissenschaftlern fehlte es Ende der dreißiger Jahre an ausreichenden Uranressourcen für Forschungen im großen Umfange.
Die deutschen Forscher und Militärs rechneten in den damals bereits bekannten Uranerzrevieren in Johanngeorgenstadt, Schneeberg und Joachimsthal (Jetzt: Jachymov /Tschechische Republik) mit keinen nennenswerten und ausbeutungswürdigen Vorkommen.
Nachdem die Wehrmacht im Sommer 1940 im Blitzkrieg auch Belgien eingenommen hatte, hatte sie auch die Verfügungsgewalt über die in der Firma Brüsseler Firma Union Miniere dort gelagerten großen Radium- und Uranoxydvorkommen.
Der deutschen Forschung standen damit ausreichend große Uranvorkommen zur Verfügung.
3. Zyklotron
Zugang zu einem Zyklotron zur Messung kernphysikalischer Konstanten erhielten die deutschen Wissenschaftler nach der Besetzung Frankreichs im Sommer 1940 im Pariser Institut von Frederic Joliot-Curie.
Parallel dazu nahm man in Deutschland den Bau von Zyklotronen in Angriff u. a.:
- am Siemens- Forschungslabor in Berlin unter Leitung von Gustav Hertz
- Institut von Werner Bothe in Heidelberg
- Institut von Gerhard Hoffmann in Leipzig und
- bei der Reichspostforschungsanstalt in Miersdorf bei Zeuthen und Berlin-Lichterfelde
4. Uranaufbereitung
Zur Weiterverarbeitung des Uranerzes zu Uranoxyd und Uranmetall mit hohem Reinheitsgrad erteilte das Heereswaffenamt im Herbst 1939 der Auergesellschaft den Auftrag zur Herstellung von reinem Uranoxyd.
Innerhalb weniger Wochen baute diese Firma ein Werk in Oranienburg mit einer Produktionskapazität von ca. einer Tonne Uranoxyd/Monat.
Die Weiterverarbeitung erfolgte ab 1940 in den Uranschmelzanlagen der Degussa in Frankfurt/Main und ab 1944 in einer zweiten Schmelzanlage in Berlin-Grünau.
Es bestanden damit offensichtlich in Deutschland alle materielle Voraussetzungen und damit gute Ausgangspositionen für die Atomforschung.
Die Forschungseinrichtungen waren aber dezentralisiert deutschlandweit verteilt.
Die wichtigsten waren:
Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik Berlin
Die militärischen Forschungen sollten am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik koordiniert werden, dem ab 1941 Werner Heisenberg vorstand.
Während zwar Heisenberg mehrfach über die militärische Nutzung der Atomspaltung Vortrag hielt, dazu auch eigene Versuche unternahm, schien er doch mehr und mehr die militärische Nutzung dieser Erkenntnisse nicht forcieren zu wollen.
Seine Versuchanordnungen bestanden in Uranplatten.
Die Forschungseinrichtungen wurden 1944 nach Haigerloch verlegt.
Physikalisches Institut der Universität Leipzig
Die Leipziger Forschergruppe stand bis 1942 unter Leitung von Werner Heisenberg. In einem grundlegendem Bericht vom Winter 1939/40 an das Heereswaffenamt hatte er die Möglichkeiten der Energiegewinnung aus Uran theoretisch untersucht und eine Uranmaschine und Bombe für realisierbar gehalten. Die in Leipzig später durchgeführten vier Versuche ( L- I, L- II, L-III, L- IV) wurden durch seine Mitarbeiter realisiert.
Versuchsstelle Gottow
Der Physiker Kurt Diebner forschte längere Zeit nach Möglichkeiten der Verwertung kernphysikalischer Effekte für militärische Zwecke. Nach seinem Wechsel von der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) Ende 1934 zur Forschungsabteilung im Heereswaffenamt (HWA) stelle er am Sitz der Forschungsabteilung des HWA in Kummersdorf in der dortigen Versuchsstelle Gottow ein wissenschaftliches Team zusammen, welchem im Laufe der weiteren Entwicklung die größten Fortschritte in der Entwicklung der deutschen Atombombe zugesprochen werden. Die Versuchsanordnungen bestanden hier in einer Gitteranordnung an Drähten befestigten Uranmetallwürfel in einem mit schwerem Wasser gefüllten Zylinder. In den ersten Experimenten war das Ganze umgeben mit einem Wassermantel, später einem Kohlenstoffmantel. Im einzelnen:
Versuch G I
Im ersten Großversuch in Gottow wurde eine Uran-Würfelanordnung in Paraffin als Bremssubstanz durchgeführt.
Versuch G II
Insgesamt 108 Metallwürfel mit einem Gewicht von 232 kg in 189 Liter zu Eis gefrorenem Wasser erbrachte eine beachtliche Neutronenproduktion.
Versuch G III
Der Versuch G III wurde im Rahmen der PTR begonnen und unter den Bevollmächtigten für Kernphysikalische Forschungen, Prof. Dr. W. Gerlach, zu Ende geführt.
Die erreichte Strahlungsinsentität der benutzen Präparate wurde von den Mitarbeitern der PTR Dr. Weiß und Westmeyer ausgemessen. Im abschließenden Bericht wurde vermerkt,
"dass in Anbetracht der relativ geringen Größe der Anordnung ... diese Neutronenvermehrung außerordentlich hoch; sie liegen weit über den bisher aus theoretischen Überlegungen zu erwartenden Werten".
Im Herbst 1944 erfolgte dann die Verlagerung von Diebners Forschungsgruppe nach Stadtilm.
Die vorgenannten Forschungen sind recht gut und umfassend erforscht und dokumentiert worden. In einem bei Nagel veröffentlichten Dokument einer "Geheimen Reichssache" mit dem Titel "Kernphysikalische Forschungsaufträge" vom 18.04.44 sind eine Vielzahl von Forschungseinrichtungen darüber hinaus aufgeführt, welche belegen dass eine Vielzahl von Einrichtungen (aus heutiger Sicht sicher unverständlicherweise dezentral) mit der Atomforschung betraut waren.
Wir führen diese einfach mal interessenhalber auf:
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Arbeiten am Pariser Zyklotron | Phys. Institut d. Universität Köln | Prof. Riezler | ||||||
Arbeiten am Pariser Zyklotron | Phys. Institut d. TH Darmstadt | Dr. Maurer | ||||||
Arbeiten am Pariser Zyklotron | Phys. Institut der Universität56 München | Sr. Starke | ||||||
Energiegewinnung aus Kernprozessen | Physikalisch-Technische Reichsanstalt | Dr. A. Esau | ||||||
Energiegewinnung aus Kernprozessen | Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik Berlin | Prof. Dr. Heisenberg | ||||||
Energiegewinnung aus Kernprozessen | Kaiser-Wilhelm-Institut Heidelberg | Prof. Dr. Bothe | ||||||
Energiegewinnung aus Kernprozessen | Physikalisches Institut der Universität Wien | Prof. Dr. Stetter | ||||||
Theoretische. Arbeiten ü. Energiegewinnung aus Kernprozessen | Institut f. Theoretische Physik d. Universität Strassburg | Prof. von Weizsäcker | ||||||
Wärmetheoretische Überlegungen zur Uranmaschine | Physikalisch-Technische Reichsanstalt | Prof. Dr. Esau | ||||||
Untersuchungen über das Spektrum des Uranmetalls,.... | Physikalisches Institut der Universität Tübingen | Staatsrat Pro. Esau | ||||||
Isotopentrennung | Institut für Physikalische Chemie der Universität Hamburg | Prof. Dr. Harteck | ||||||
Isotopentrennung | Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie, Kiel | Doz. Dr. Martin | ||||||
Isotopentrennung | Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie Berlin | Dr. Klemm | ||||||
Entwicklung v. Katalysatoren für H-D-Austausch | Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie, Kiel | Doz. Dr. Martin | ||||||
Darstellung gasförmiger Uranverbindungen für die Isotopentrennung | TH Danzig | Prof. Dr. Albers | ||||||
Darstellung gasförmiger Uranverbindungen für die Isotopentrennung | Chemisches Institut der Universität Bonn | Prof. Dr. Schmitz-Dumont | ||||||
Bau und Entwicklung eines Massenspektrografen | Physikalisches Institut der Universität Göttingen | Prof. Dr. Kopfermann | ||||||
Entwicklung eines Massenspektrografen | Deutsche Reichspost | Ministerialrat Gerwig | ||||||
Fertigung einer Isotopenschleuse | Fa. Bamag-Meguin Berlin | |||||||
Spaltprodukte bei Kernprozessen | Kaiser-Wilhelm-Institut Berlin-Dahlem | Prof. Dr. Hahn | ||||||
Kernphysikalische Untersuchungen | Physikalisches Institut der Universität Leipzig | Prof. Dr. Döpel | ||||||
Untersuchungen über die natürliche Existenz des Elementes 85 | Institut für Radiumforschung Wien | Dr. Berza Karlik | ||||||
3 Musterstücke korrosionsbeständiger Metallplatten | Genet. Abt. des Kaiser-Wilhelm-Institutes in Berlin-Buch | Doz. Dr. Zimmer | ||||||
Untersuchungen über biologische Wirkung von Strahlen | Kaiser-Wilhelm-Institut für Biophysik Frankfurt a. Main | Prof. Dr. Rajewsky | ||||||
Alle vorgenannten Forschungsvorhaben sind als "Geheim" oder als "Geheime Reichssache" eingestuft worden.
Zwar ließ das Interesse des Heeres offiziell an der Atomforschung im Ergebnis der Erfolge der Blitzkriege nach und das Atomprojekt wurde an den Reichsforschungsrat abgegeben, welcher jedoch am 26.02.1942 in Berlin eine Tagung zum Stand der deutschen Atomforschung veranstaltete.
Reichspropagandaminister Joseph Goebbels notierte zu deren Ergebnissen in seinem Tagebuch am 21.03.1942:
"Die Forschungen auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung sind so weit gediehen, dass ihre Ergebnisse unter Umständen noch für die Führung dieses Krieges in Anspruch genommen werden können. Es ergeben sich hier bei kleinstem Einsatz derart immense Zerstörungswirkungen, dass man mit einigem Grauen dem Verlauf des Krieges, wenn er noch länger dauert, und einem späteren Krieg entgegenschauen kann."
Auf einer Konferenz am 04.06.1942 unter Leitung des Rüstungsministers Albert Speer trug Heisenberg dem versammelten Militär die gewaltige Vernichtungskraft der Uranbombe vor, welche nach seinen Aussagen nicht größer als eine Ananas sein müsse.
Speer unterstützte darauf hin die weiteren Arbeiten im Jahr 1943 mit 3 Millionen und 1944 mit 3,6 Millionen Reichsmark.
Jetzt beginnt eigentlich die richtig spannende Entwicklung einer deutschen Atombombe und eines dafür notwendigen transatlantischen Trägersystems.
verwendete Quellen
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Karlsch / Zeman | Urangeheimnisse, Ch. Links Verlag, Berlin 2003 | |||||||
Nagel | Atomversuche in Deutschland, Heinrich-Jung-Verlagsgesellschaft Zella-Mehlis/Meiningen 2002 | |||||||
Mayer / Mehner | Das Geheimnis der deutschen Atombombe, Jochen Kopp-Verlag Rottenburg 2003 | |||||||
Mayer / Mehner | Die Atombombe und das Dritte Reich, Jochen Kopp-Verlag Rottenburg 2002 | |||||||
Mayer / Mehner | Hitler und die "Bombe", Jochen Kopp-Verlag Rottenburg 2002 | |||||||
Brunzel | Hitlers Geheimobjekte in Thüringen, Heinrich-Jung-Verlagsgesellschaft Zella-Mehlis/Meiningen 2003 | |||||||
Remdt / Wermusch | Rätsel Jonastal, Heinrich-Jung-Verlagsgesellschaft Zella-Mehlis/Meiningen 2003 | |||||||
Karlsch | Hitlers Bombe, Deutsche Verlagsanstalt 2005 | |||||||